Es war ein Zeichen des Zusammenhalts, ein Symbol der Solidarität: Am ersten Septemberwochenende fand der allererste grenzüberschreitende deutsch-polnische Christopher Street Day statt.
Die Parade zog sowohl durch Frankfurt (Oder) als auch durchs polnische Slubice auf der anderen Seite der Brücke. Mit dabei waren neben rund 800 Teilnehmern auch Vertreter der LSU Berlin und der LSU Brandenburg sowie Frankfurts CDU-Bürgermeister Claus Junghanns.
Warum war diese Demonstration gerade jetzt so ein besonderes Zeichen? Seit geraumer Zeit beunruhigen uns die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in unserem östlichen Nachbarland. Die polnische Regierung scheint den Rechtsstaat auszuhöhlen. Ende vergangenen Jahres schockierte uns die Meldung von sogenannten „LSBTI-freien Zonen“, die in immer mehr Gemeinden Polens nicht etwa von Verrückten ausgerufen, sondern von kommunalen Parlamenten beschlossen wurden.
Per Ratsbeschluss sollte klargestellt werden, dass Lesben und Schwule, Bi-, Trans- oder Intersexuelle (LSBTI) dort nichts zu melden haben. Mit weiteren Beschlüssen sollen nun Förderungen für LSBTI-Projekte gestrichen werden. Die LSBTI-Community in Polen, jeder einzelne dort, der mit seiner sexuellen Identität von der Norm abweicht, wird zurzeit öffentlich attackiert.
Mittlerweile geht es so weit, dass mancherorts CSD-Paraden gar nicht mehr stattfinden dürfen oder gewaltsam aufgelöst werden. Erschütternd waren auch die Bilder von politischen Aktivisten, die von Beamten in Zivil halbnackt aus ihren Privatwohnungen gezerrt wurden.
Profilierung auf dem Rücken der Schwächsten
Wer die Ursprünge der „LSBTI-freien Zonen“ verstehen will, muss sich die politischen Konfliktlinien des Landes ansehen. Augenfällig wird eine weitgehende Deckungsgleichheit der Regionen, in denen die nationalkonservative Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) Wahlerfolge wie zuletzt bei der Präsidentschaftswahl verbuchen kann, und den Regionen, die sich zu „LSBTI-freien Zonen“ erklärt haben. Sämtliche Resolutionen dieser Art gehen zurück auf die Reaktion der PiS-Partei von Präsident Andrzej Duda auf die sogenannte „LGBT Charta“ des Oberbürgermeisters von Warschau und diesjährigem Präsidentschaftskandidaten Rafal Trzaskowski.
Trzaskowski ist dabei allerdings kein linker Ideologe, seine Partei ist die Platforma Obywatelska, die Bürgerplattform. Sie wird gemeinhin als christdemokratische Partei mit liberal-konservativem, volksparteilichem Profil eingestuft, es ist die Partei von Donald Tusk und Teil der EVP-Familie, der auch CDU und CSU angehören.
In Polen wurde nun im Wahlkampf und auch schon in den vergangenen Jahren ein Kampf heraufbeschworen zwischen den vermeintlichen Bewahrern von Nation und Familie auf der einen Seite und den angeblich gefährlichen Kräften der Modernisierung und der europäischen Einheit. Es ist ein Kulturkampf, in dem die katholischen Wurzeln des Landes teilweise missbraucht werden, um die Reihen zu schließen gegen die vermeintlich Anderen, zum Beispiel eben Lesben und Schwule.
LSU setzt auf Kontakte und Dialog
Seit Beginn des Jahres hat die LSU versucht, mit Anschreiben und anderen Kontakten darauf hinzuwirken, dass sich deutsche Städte und Gemeinden mit der Situation in ihren polnischen Partnerstädten befassen. Ziel war es dabei nicht unbedingt, dass die Partnerschaften aufgekündigt werden, was allerdings teilweise schon passiert war. Die LSU verfolgte das Anliegen, die Bestehenden Kontakte zu nutzen, um konkrete Verbesserungen zu erzielen. Die LSU ging vor Ort recht unterschiedliche Wege, um politischen Einfluss auszuüben. In Niedersachsen kontaktierte die LSU mit der Bitte nach einer klaren Botschaft die CDU-Landtagsfraktion (Reaktionen auch auf Seite 6). Für die praktische Umsetzung nahm LSU-Landeschef Sven Alexander van der Wardt Kontakt zur CDU-Fraktion der einzigen niedersächsischen Gemeinde auf, die eine Städtepartnerschaft mit einer polnischen Kommunen hat, die sich als LSBTI-freie Zone erklärt hatte.
In Hessen etwa hat die LSU mit rund 20 kommunalen CDU-Fraktionen das Gespräch gesucht. Die LSU-NRW adressierte hingegen EU-Parlamentarier. Ende Juni hat Stefan Berger MdEP das Thema in seinem Statement bei der LSU-Aktion „CDU zeigt Flagge“ aufgegriffen. In Brandenburg versuchte es die LSU parteiübergreifend und nahm Kontakt zu SPDqueer und QueerGrün auf, um ein breites Bündnis zu schmieden.
Im Saarland hat der LSU-Landesverband den Vorschlag an die CDU-Landtagsfraktion herangetragen, auf die Vorkommnisse in Polen zu reagieren. Es folgte eine Pressemitteilung, die in der Saarbrücker Zeitung und im Saarländischen Rundfunk aufgegriffen wurde. Zudem hat sich der saarländische Europaminister, auch der von der CDU, mehrfach öffentlich zur Lage in Polen geäußert, unter anderem nach der Präsidentschaftswahl im Juli, aber auch zu der Tatsache, dass das Saarland als Bundesland die Partnerregion Podkarpackie in Polen hat, die sich zur LSBTI-freien Zone erklärt hat. Die Saar-LSU hat außerdem mit einem Anschreiben alle Bürgermeister, deren Städte in der Hinsicht kritische Partnerschaften haben, auf das Thema aufmerksam gemacht – etwa Illingen, die Stadt Neunkirchen, der Landkreis Homburg. Die Reaktionen fielen unterschiedlich aus. Die CDU-geführte Stadt Bexbach hat sogar von sich aus eine bereits angebahnte Partnerschaft deswegen fallen lassen.
Herausforderung für die Europäische Union
Die Entwicklungen in Polen setzen ganz besonders die Europäische Union unter Druck. Kann man das Polen durchgehen lassen? Als Deutschland im Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernahm, in der es unter anderem auch um die Erarbeitung des mehrjährigen Finanzrahmens der EU ging, brachte die LSU die Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit und LSBTI-Rechten noch einmal auf die Agenda. Öffentlich forderten wir, EU-Gelder nur an jene Staaten auszuzahlen, die die EU-Werte achten.
Es ist ein Glücksfall für die LSBTI-Community, dass mit Ursula von der Leyen derzeit eine überzeugte Kämpferin für die Rechte von sexuellen Minderheiten an der Spitze der EU-Kommission steht. Nachdem sich in Polen mehr als 50 Kommunen zu LSBTI-freien Zonen erklärt hatten, wies die EU-Kommission sechs Anträge auf Förderung von Städtepartnerschaften zurück. Polens Justizminister bewertete diesen Schritt empört als illegal, woraufhin von der Leyen sich über ihren öffentlichen Twitter-Kanal klar positionierte: „Unsere Verträge stellen sicher, dass alle Personen in Europa die Freiheit haben, zu sein, wer sie sind, zu leben, wo sie möchten, zu lieben, wen sie möchten und so viel Ehrgeiz zu entwickeln, wie sie wollen. Ich werde mich weiter für eine Union der Gleichberechtigung einsetzen.“
Am Montag (14. September) befasste sich das EU-Parlament mit der Situation. Unter anderem Maria Walsch, irische Abgeordnete von Fine Gael (EVP) fragte dabei: „Wenn wir nicht gegen Regierungen vorgehen, die LSBTI allein deshalb bestrafen, weil es sie gibt, wofür ist die EU dann da?“